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Christian Grosskopf

Christian Grosskopf, geboren in Berlin, studierte freie Malerei an der Hochschule der Künste Berlin. Nach dem Studium und Arbeitsaufenthalten in Nord- und Süd-Amerika, Asien und Australien entwickelte er eine realistische Malerei, die gegenwärtige gesellschaftliche und politische Probleme und Konflikte thematisiert. Seine Bilder und Zeichnungen werden in Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt. 


Die Bilder von Christian Grosskopf sind von psychologischer Eindringlichkeit, die den Betrachter in besonderer Weise mit der Welt der Dargestellten, man könnte sagen mit ihrem Wesen vertraut macht. Will man dieses Phänomen beschreiben, könnten Begriffe, wie Melancholie, Kontemplation, aber auch Selbstbewusstsein und Vertrautheit fallen, die eine Charakterisierung ermöglichten. Die Malweise ist in jeder Phase spannend: In lockerem Duktus entsteht ohne Vorzeichnung ein abstrahiertes und doch schon erkennbares Abbild, das bereits die wesentlichen Züge des Modells sowie Licht und Schatten und den grundlegenden Farbklang bestimmt. 


Die Porträts gehen dabei über das einfach bildnishafte hinaus, sind immer Kompositionen und damit allgemein gültige Bilder, die auch ohne Kenntnis der Dargestellten den Betrachter zur Auseinandersetzung herausfordern. Im Malen wird mit von lasierend bis pastos variierendem Farbauftrag eine immer größere Präzision erreicht, das Bild tritt immer klarer und detaillierter aus dem Bildgrund. Der Ausdruck wird differenzierter und der Kolorismus erhöht in stärker werdender Differenzierung die psychologische Ausdruckskraft. Am Ende dieses Prozesses steht dann das Bild mit Selbstverständlichkeit und Überzeugungskraft, als ob es gar nicht anders sein könnte.


Anlässlich der Ausstellung in der Galerie Creative Game: Die Dauer des Moments ist ein kurzer Zeitraum, mitunter nicht einmal so lang wie die ungefähr acht Sekunden, die von uns als unmittelbare Gegenwart empfunden werden. Insofern gibt es also einen Widerspruch zwischen dem im Gemälde dargestellten "Moment" und der Dauer der Herstellung des Gemäldes. Tatsächlich zeigen sich also nicht nur einer, sondern sozusagen, viele übereinander gelegte und ineinander verflochtene Momente, die am Ende als ein geronnener Prozess das abgeschlossene Bild ergeben. Insofern entspricht das gemalte Porträt auch sehr viel eher der menschlichen Wahrnehmung, als ein Foto, dessen Aufnahme in einem mit menschlichen Sinnen nicht wahrnehmbar kurzen Moment passiert. Auch die Substanz, die Ölfarbe und die Oberfläche haben eine sinnliche Qualität, im Unterschied zu einem Foto, egal in welcher Form (Papierprint, Alubond, Bildschirm oder Projektion). Mit Ölfarben lassen sich diverse stoffliche Qualitäten darstellen. Insbesondere kann mit dieser Art von Farbe Inkarnat, also menschliche Haut wiedergegeben werden, wie es mit keiner anderen künstlerischen Technik in der Weise möglich ist. 


Die Kant'sche Frage "was ist der Mensch", die sich im gemalten Porträt und Menschenbild überhaupt stellt, soll im Idealfall gleichzeitig von eben diesem nicht nur allgemein, sondern auch für den individuellen Fall beantwortet werden. Das Mauritshuis in Den Haag veröffentlichte kürzlich das Ergebnis eines Versuchs, bei dem die Hirnaktivität von Museumsbesuchern untersucht wurde, und zwar angesichts von Original- Gemälden und im Vergleich dazu gegenüber Reproduktionen der gleichen Bilder im Museums-Shop. Es handelte sich also um eine empirische Untersuchung zu der These von Walter Benjamin über die Aura des Kunstwerkes. Benjamin beschreibt die Aura kurz zusammengefasst, als das Wissen des Betrachters im Angesicht des Kunstwerkes um die Einmaligkeit dessen und das Bewusstsein des Jetzt und Hier dieser Einmaligkeit, das nicht gleichzeitig an irgend einem anderen Ort auf der Welt erlebbar sein könne. Aus meiner Erfahrung, nicht nur als Maler, sondern auch als Museums- und Ausstellungsbesucher möchte ich einen anderen Aspekt hinzufügen. Benjamin geht also von einem Wissen aus, das nicht zur unmittelbaren sinnlichen Erfahrung, der Perzeption gehört, sondern ein Teil des Wissens über das Kunstwerk, also der Apperzeption ist. Was Benjamin außer Acht lässt ist der sinnlich wahrnehmbare Unterschied von Gemälde und gedruckter Reproduktion. Das Gemälde hat eine andere Struktur und Oberfläche, als die Reproduktion bzw ein Foto, es hat leichte Unebenheiten durch den Farbauftrag und die Pinselführung. Man erkennt, dass es mit der Hand gemacht ist, nicht mit einer Apparatur, die chemische oder mechanische industrielle Verfahren verwendet. Das Gemälde muss deshalb einmalig sein. Und im Fall unseres Beispiels aus dem Mauritshuis handelt es sich auch noch um Werke von Jan Vermeer, dessen malerische Meisterschaft nicht zu bestreiten ist. Diesen Unterschied von originalem Kunstwerk und Reproduktion halte ich für wesentlich und ebenfalls konstitutiv für die Aura des Werkes, unabhängig von angelesenem oder gelerntem Wissen über dasselbe. Das Ergebnis der empirischen Untersuchung war eindeutig und erwartungsgemäß, die Hirnaktivität vor den Originalen um ein 10-faches höher, als vor den gedruckten Reproduktionen. Die verstärkte Aktivität war im Precuneus, einem Teil des Gehirns, welcher mit Bewusstsein, Selbstreflexion und persönlichen Erinnerungen zu tun hat. Das gemalte Porträt ist jeweils der Versuch, nicht nur bildnerisch eine äußerliche Ähnlichkeit herzustellen, sondern die Persönlichkeit der/des Porträtierten zu zeigen. Dies ist seit dem Barock sogar eines der Hauptanliegen der Porträtmalerei (zum Beispiel seien Diego Velasquez, Frans Hals, Antonis van Dyck genannt). Bei Auftragsporträts ist ursprünglich der repräsentative Anspruch ein anderer, als bei von Künstlern selbst gewählten. Die von Michel Foucault festgestellte Repräsentation hat also eine doppelte Bedeutung. Bei den von Künstlern ausgesuchten Porträt-Modellen geht es zwar auch um die Simulierung von Anwesenheit und um die Möglichkeit einer scheinbaren personellen Gegenüberstellung, aber nicht darum einen gesellschaftliche Rang zu demonstrieren. Die Dauer der Herstellung eines gemalten Bildes, das einen Menschen darstellt, bedeutet durch den vergleichsweise langsamen Prozess der Herstellung die Möglichkeit eines tieferen Eintauchens in die Persönlichkeit und eine tiefere psychologische Deutung als es beim fotografischen Abbild möglich ist. Und andererseits fließt die subjektive Sicht und Interpretation des Malers/der Malerin in die Darstellung schon auf der Ebene der Textur des Bildes in sie ein. Diese subjektive Sicht oder Beurteilung drückt sich nicht immer bewusst, manchmal sogar weitgehend unbewusst aus. Ohnehin ist das Ergebnis, selbst wenn die Malerin/der Maler präzise Vorstellungen des zu erstellenden Bildes hat, nicht genau absehbar oder nur grob planbar. Das Ergebnis ist daher immer überraschend, und kann durchaus auch in psychologischer Hinsicht eine Offenbarung sein. Es gibt einen Unterschied von Bildnis und Bild. Häufig bleiben Auftragsporträts bildnishaft. Sie lassen, wenn eine ausreichende Ähnlichkeit zum oder zur Porträtierten besteht diejenigen, die den oder die Porträtierte(n) kennen bzw. kannten diese(n) wiedererkennen. Damit ist jedoch der Zweck oft bereits erfüllt und für Außenstehende hat das Bildnis keine weitergehenden Bedeutung. Sofern aber das Bildnis Bild-Charakter erhält, transportiert es in seiner bildlichen Qualität und malerischen Struktur universelle Einsichten oder eine Problematik von allgemeiner Bedeutung und ist somit auch für Betrachter, die die porträtierte Person nicht kennen oder kannten eine ästhetische Erfahrung und ermöglicht einen Zugang, wie z.B. zu Bildern, die einen narrativen, also erzählerischen Charakter haben. Man kennt dann die Dargestellte als Bild, und den realen Menschen nicht zu kennen ist kein Manko. Das Bild ist der Versuch einer Mitteilung. Diese Mitteilung mit ästhetischen Mitteln kann sehr unterschiedlichen Inhalts sein. Der Inhalt eines Werkes ist immer Antrieb, genau wie die formale Idee. Es gibt bildnerisch keine leere Form, so wie andererseits ein Kunstwerk nicht formloser Inhalt sein kann. So bleibt auch das "L'art pour l'art", "Kunst um der Kunst Willen" eine ideologische Behauptung, wohl um Autonomie zu beanspruchen. Denn die Kunst ist für eine Gesellschaft hergestellt und ohne Gesellschaft nicht denkbar. Auch wenn diese sie nicht haben will. In den meisten Fällen übernimmt und entwickelt der Künstler eine Bildsprache und es ist seine Intention Inhalte zu vermitteln, also verstanden zu werden. Das Medium jedoch besitzt Bildsprachen, die eine Art der Verschlüsselung verlangen, was wiederum vom Betrachter eine gewisse Kenntnis verlangt, eben wie gesagt eine apperzeptive, die es ihm ermöglicht das Bild grundsätzlich zu verstehen. Ansonsten bleibt es immerhin sinnliches Erlebnis. Seit die Renaissance mit ihrem illusionistischen, perspektivischen Bildraum und den in voller Plastizität dargestellten Figuren unsere neuzeitliche Welt ins Bild geholt hat, wird in dieser Hinsicht heute häufig von (einem) Realismus gesprochen. Ebenso werden meistens Porträts, wie auch Bilder mit anderen Inhalten, sofern sie auf genauer Beobachtung und einer natürlichen Farbwiedergabe beruhen als realistisch bezeichnet. Es handelt sich hierbei um eine stilistische Einordnung aufgrund rein formaler Kriterien. Kunsthistorisch spricht man im Gegensatz dazu aber erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Realismus. Dieser zeichnet sich durch die lebensnahe Schilderung sozialer Zustände, die Mühsal und Entbehrungen der Landbevölkerung oder auch die Darstellung der prekären Situation des städtischen Proletariats aus. Heute wird dies weitgehend als Naturalismus bezeichnet. Der Realismus des 20sten Jahrhunderts ist durch die formalen Möglichkeiten der revolutionären künstlerischen Entwicklungen, den Verfremdungs-Effekt (Brecht) und die Montage (Heartfield) charakterisiert, die nicht nur die sozialen Zustände zeigen, sondern auch die Ursachen der Misere kausal darzustellen vermögen. Ein im allgemeinen Sprachgebrauch als "abstrakt" bezeichnetes Werk kann also sehr wohl realistisch sein. So sind also nach der gerade angedeuteten Realismustheorie die hier ausgestellten Bilder nicht realistische. Christian Grosskopf

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